Die Ratten

Datum: 25. Mai 2020

Ort: Kurtheater, Von-der-Tann-Straße 1, 97688 Bad Kissingen

Tragikomödie von Gerhart Hauptmann

Tickets: 30 / 28 / 26 / 24 / 22 €

Gerhart Hauptmann gilt als der berühmteste deutsche Vertreter des Naturalismus auf der Bühne, auch wenn er später auch neuromantische, märchenhafte Stoffe bearbeitete. In seiner Jugend war der schlesische Gastwirtssohn Mitglied eines „Jünglingsbundes“, der mit Nacktkultur und sexueller Freiheit die wilhelminische Gesellschaft mit ihren Einschränkungen und Zwängen überwinden wollte. Er wurde in der Schweiz Lebensreformler und Abstinenzler, versuchte es in Rom und Wien erfolglos mit der Bildhauerei, schloss sich zwischendurch auch der Gesellschaft für Rassenhygiene an, dann erst naturalistischen Literaturkreisen. Seine ersten Theaterstücke wie ‚Vor Sonnenaufgang‘ lösten heftige Proteste aus, wurden von der Zensur auf ein Privattheater verbannt wie ‚Die Weber‘ (1891/92). Beim ‚Der Biberpelz‘ ist er 1891 als veritabler naturalistischer Dichter angekommen.

Mit ‚Die Ratten‘ knüpft Hauptmann 1911 noch einmal an diese gesellschaftskritischen frühen Werke naturalistischer Prägung an. Doch zwanzig Jahre nach den frühen Erfolgen er es belässt nicht bei einer Zur-Schau-Stellung proletarischen Elends. Vielmehr scheint ihn die Gegenüberstellung sehr unterschiedlicher Berliner Milieus unter einem Dach einer riesigen Mietskaserne nahe dem Alexanderplatz interessiert zu haben. Mit dieser Absicht hatte er offenbar Erfolg: ‚Die Ratten‘ gelten nach ‚Die Weber‘ und ‚Der Biberpelz‘ als Hauptmanns erfolgreichstes Stück und gehörten zum festen Repertoire der deutschen Theater. In berühmten Inszenierungen von Otto Falckenberg (1932) und Hans Schweikart (1952) spielte Therese Giehse die Rolle der Frau John an den Münchner Kammerspielen; 1972 gab sie Jutta Wachowiak am Deutschen Theater (Ost-)Berlin, 1976 Cordula Trantow an der Freien Volksbühne (West-)Berlin, 2007 Constanze Becker am Deutschen Theater Berlin. 2013 zeigte das Residenztheater München eine Neuinszenierung und stellte klar: „Hauptmanns berühmter Großstadtkrimi gilt zu Unrecht als lokales Berlinstück. Vielmehr spiegelt sich in ihm der Überlebenskampf in Zeiten von Unsicherheit und Krise sowie das tragikomische Ringen um dessen künstlerische Darstellbarkeit.“ Zurzeit läuft auch am Meininger Theater das Stück, das Hans Mayer den „wichtigsten Beitrag Gerhart Hauptmanns zum Welttheater“, „eine Großstadtdichtung ganz eigentümlicher Art“ nannte.

Für Hauptmann ist das Konglomerat Berliner Bürger aus verschiedensten Gesellschaftsschichten in einem Haus zum einen eine Gelegenheit, die Interaktion dieser unterschiedlichen Menschen in breitem Realismus darzustellen. Zum anderen dient das Zusammenleben auf solch relativ begrenztem Raum ihm auch dazu, 20 Jahre nach seiner naturalistischen Phase zu hinterfragen, wie es um die Kompetenz der naturalistischen Kunst steht, die Wirklichkeit darzustellen, wie sie wirklich ist. Kunst und soziale Wirklichkeit prallen direkt aufeinander, da der selbstgefällige Theaterdirektor Hassenreuter ausgerechnet in diesem Haus seinen Theaterfundus einrichtet und auf dem Dachboden Schauspielschülern Unterricht. Ausgerechnet Schillers klassischstes Drama ‚Die Braut von Messina‘ wird hier mit viel falschem Pathos geprobt, während der Herr Direktor sich mit einer seiner Elevinnen vergnügt, der Geliebte seiner Tochter sich mit einem Theologiestudenten über den „hohlen Bombast“ der Klassik streitet und drumherum das wilde Leben tobt. Ein Dienstmädchen will sich umbringen, weil es schwanger ist, Frau John, die ihr Kind verloren hat, kauft es ihr ab und gibt es als ihres aus. Als das Dienstmädchen es wiederhaben will, schiebt sie ihm ein anderes unter. Frau Johns Bruder Paul will das Problem lösen, indem er das Dienstmädchen umbringt. Frau John gesteht den Kindstausch ihrem Mann, der ihr den Betrug nicht verzeiht, obwohl sie ihm doch nur das verlorene Kind ersetzen wollte. Da geht es 1911 zu wie in so manchem ‚Tatort‘ und Frau John wird fast schuldlos schuldig wie so manch ein Held in einer klassischen Tragödie.